Feng Shui
Vor einigen Jahren war Feng Shui in aller Munde. Häuser und Gärten wurden nach den Grundsätzen der Feng-Shui-Philosophie gebaut, bzw. angelegt. Wie bei jeder Modeerscheinung gab es die Verfechter der reinen Lehre und die Mehrzahl derer, die einfach nur das, durch was sie sich angesprochen fühlten, verwirklichen wollten. Mittlerweile ist der Boom vorübergezogen und kaum jemand spricht noch über Feng Shui. Trotzdem ist es interessant, die östliche und die westliche Weltanschauung im Hinblick auf dieses spezielle Thema etwas genauer zu beleuchten. Weitere Betrachtungen in diesem Zusammenhang finden Sie unter Garten - Leben erleben/Feng Shui
Feng Shui ist eine alte chinesische Harmonielehre, deren zentrales Anliegen die nutzbringende Lenkung der Lebensenergie, des Chi, ist. Dieses Chi ist die Voraussetzung für alles Leben, sie durchdringt den gesamten belebten Raum, also im Prinzip unseren ganzen Planeten Erde. Dieses Chi ist immer in Bewegung, wie das gleichmäßige Fliessen eines Flusses, der gewissermaßen die physikalische Entsprechung des Chi ist, weil er das zum Leben notwendige Wasser verteilt. Auch wenn das Chi überall vorhanden ist, nimmt es doch bestimmte Qualitäten an, die das Wohlergehen der Menschen positiv oder negativ beeinflussen können. Der Idealzustand ist das gleichmäßig dahinfließende Chi, nicht zu schnell und nicht zu langsam, weil beide Extreme nachteilige Wirkungen haben.
Man kann sich die Wirkung und den Fluss des Chi recht gut am Beispiel des Wassers verdeutlichen. Am Hang eines Berges fließt Wasser schnell ab, und man wird deshalb darauf bedacht sein, es zu sammeln, um auch in Trockenzeiten immer genügend zur Verfügung zu haben. Im Tal dagegen, wo es bei starken Regenfällen zu Hochwasser kommt, muss man eher dafür sorgen, dass das Wasser ungehindert abfließen kann, um nicht zu ertrinken. Dazwischen gibt es alle Übergänge. Man muss also, um mit den Worten des Feng Shui zu reden, den Geist des Ortes suchen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der Vergleich mit dem Wasser ist leicht verständlich und unmittelbar nachzuvollziehen. Und das Ziel, nämlich die Herstellung einer harmonischen Situation, in der Mensch und Umwelt gewissermaßen eine Einheit bilden, wo der Mensch die Umwelt achtet mit allem, was darin lebt, ist gewiss ein gutes und erstrebenswertes Ideal. Es tut unserer westlichen, kalten Verstandeskultur gut, wenn sie durch ein ganzheitliches Denken erweitert wird. Trotzdem muss man zwei Dinge, die im Feng Shui untrennbar miteinander verbunden sind, streng auseinanderhalten. Das eine ist die Harmonie, die im Grunde genommen jeder auch ohne besondere Vorkenntnisse mitempfinden kann. Wer sich eine gesunde Empfindung bewahrt hat, der kann durchaus nachempfinden, ob eine Situation harmonisch ist oder nicht. Alle Gärten, die auf diesen Seiten zu sehen sind, sind aus dem Gefühl heraus entstanden, ohne auf irgendwelche speziellen Feng Shui-Regeln zu achten. Trotzdem wird mir immer wieder bestätigt, dass viele Situationen meiner Entwürfe den Feng Shui-Regeln entsprechen. Allein das mag schon als ein deutlicher Hinweis dafür gelten, dass Harmonie nichts spezifisch östliches ist. Harmonie ist universell.
Das andere, auf dem die spezielle Feng Shui-Philosophie beruht, ist die chinesische Weltanschauung, die dahintersteht. Ohne hier auf alle Details des Bagua, der vier himmlischen Tiere, des Yin und Yang, der fünf Elemente oder den chinesischen Kalender eingehen zu können, steht hinter allem doch eine ganz bestimmte grundsätzliche Einstellung, die Welt zu deuten. Der alte Chinese war davon überzeugt, dass die Umwelt die Persönlichkeit bestimmt. Umwelt und Persönlichkeit – das sind nicht zwei verschiedene Sachen, die nichts miteinander zu tun haben; Umwelt und Persönlichkeit sind in dieser Anschauung nicht voneinander getrennt. Die Persönlichkeit als eigenständiges Wesen wie bei uns im Westen hat dort keinen Platz. Der einzelne Mensch ist abhängig von der Umwelt. Er vermag nichts, wenn die Umwelt sein Anliegen nicht unterstützt. Wenn also der (alte) Chinese an seinen eigenen Lebensumständen etwas verändern wollte, dann musste er erst die Umgebung verändern, die dann im nächsten Schritt auf ihn zurückwirken konnte. Alle diese speziellen Regeln des Feng Shui, wie die Umwelt eingerichtet werden muss – Yin und Yang, die vier himmlischen Tiere, das Bagua, die fünf Elemente, der chinesische Kalender – sind eine Folge dieser Grundüberzeugung, dass der Mensch keine Macht über seine Lebensumstände hat, sondern dass er von der Umwelt bestimmt wird.
Nun ist diese Überzeugung bei den heutigen Chinesen schon nicht mehr so rein ausgeprägt. Und noch weniger ist das bei uns im Westen der Fall. Wenn aber hier bei uns trotzdem jemand auf die wohltuenden Wirkungen des Feng Shui schwört, dann empfinde ich das bisweilen als allzu bequem: Wenn dieser seine Lebenssituation verändern möchte, dann braucht er nicht selbst an sich zu arbeiten, damit er kräftig wird und Hindernisse überwinden kann; er braucht lediglich seine Umgebung zu harmonisieren, und schon regelt sich alles von selbst. Er kann es sich sogar noch bequemer machen und braucht nicht einmal selbst Hand anzulegen – mit dem nötigen Kleingeld lässt sich ein Feng Shui-Experte engagieren, der das alles für einen selbst erledigt. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Die Starken brauchen kein Feng Shui, weil sie schwierige Situationen aus eigener Kraft meistern; die Schwachen dagegen werden durch Feng Shui noch schwächer, weil sie ihre eigenen Kräfte brach liegen lassen. Und noch ein weiterer Aspekt muss hier angesprochen werden: Mit der Harmonie wird ein Idealzustand angestrebt, der – einmal erreicht – nicht mehr verändert werden kann und soll. Doch das Leben, mit dem man es ja gerade im Garten zu tun hat, ist mehr als ein Zustand. Leben ist Veränderung im Sinne von Entwicklung, Leben ist Werden und Vergehen, ist Geburt, Wachstum, Reife und Tod. Man kann diese Stadien nicht einfrieren, weil man selber Angst vor dem Alter und dem Tod hat. Stillstand bedeutet Stagnation, und Stagnation ist der Feind des Lebens. So ist jeder Versuch, den Lebensprozess aufzuhalten, um einen bestimmten Idealzustand einzufrieren, ein Angriff auf das Leben.
Es ist doch gerade der Vorzug des Gartens, dass man die Lebensprozesse quasi hautnah miterleben kann. Im Garten – vorausgesetzt, er ist entsprechend gestaltet – ist man nicht nur ein Beobachter, der aus einem gewissen Abstand die Geschehnisse von außen verfolgt, sondern man nimmt teil an allem, was geschieht. Die Blütenstauden, die im Frühjahr gerade erst einmal anfangen, aus dem Boden zu spitzen, wachsen sehr schnell, so dass in wenigen Monaten aus der leeren Fläche eine üppige Fülle geworden ist. Hier verändert sich nicht nur die Farbe, wie das bei den Sträuchern der Fall ist, wenn sie zwei oder drei Wochen blühen, sondern es verändert sich der gesamte Raum. Wo man im Winter alles vom Haus aus überblicken kann, sind im Sommer die Blickverbindungen unterbrochen. Wo im Winter Weite herrschte, wird es im Sommer eng. Abends erfüllen Duftschwaden die Luft, wenn man einen Rundgang durch den Garten macht. Wie armselig ist doch ein Garten, den man von der Terrasse aus vollständig im Blick hat, wo der Raum immer derselbe ist und sich nur die Farben ein wenig verändern.
Man könnte vielleicht sagen, dass das, was durch die toten Materialien, durch Wege, Mauern, Steine oder auch Wasser die Struktur des Gartens mehr oder weniger deutlich prägt, eine statische Harmonie erzeugt (wenn es überhaupt harmonisch zugeht), die keinen Veränderungen unterworfen ist. Die Pflanzen, und da v.a. die Stauden, die durch ihr Wachstum jedes Jahr von neuem eine erwünschte Veränderung in dieses statische System hereinbringen, sorgen dann für eine mehr dynamische Harmonie, die die besondere Qualität des Gartens ausmacht.