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Ralph Eid . Landschaftsarchitekt . Gerbersdorf 25 . 84381 Johanniskirchen . Tel 08564/91004

Experiment Freiheit

Probleme und Krisen nehmen zu – sowohl national als auch international. Neben der allgegenwärtigen Klimaerwärmung ist überall auf der Welt die Gewalt auf dem Vormarsch. Palästina ist nach wie vor ein Pulverfass, in Syrien tobt ein Bürgerkrieg, im Irak ist der Islamische Staat auf dem Vormarsch, im Konflikt in der Ukraine ist die Lage verfahren; Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit in Südeuropa, Flüchtlinge in Deutschland: willkürliche Beispiele einer weltweiten Tendenz. Lediglich die Aktienindizes sind im Höhenrausch. Wenn die Welt schon aus den Fugen geht, dann wollen wir vorher wenigstens noch Kasse machen. Vor kurzem habe ich in einem Newsletter der Finanzbranche gelesen, dass viele Staaten im mittleren Osten vor dem Zerfall stehen. Grenzen werden neu gezogen werden, neue Staaten entstehen. Es heißt dort: "Eine neue Weltordnung bricht jetzt an. Länder werden innerhalb der nächsten Monate von der Karte verschwinden. Neue entstehen. Es geht dabei um Öl. Es geht um Milliarden an Dollar… Unser Analyseteam hat … ein bisher nicht beachtetes Unternehmen ausfindig gemacht, das von der geopolitischen Neuordnung extrem profitieren wird. Es geht dabei nicht um Millionen, es geht dabei um Milliarden. Und es geht um Öl… Es geht um nicht mehr und nicht weniger als Ihren Anteil an 3.420.010.468,25 € Gewinn, die das Unternehmen in den nächsten Jahren pro Jahr erzielen wird." Das alles wird nicht ohne Krieg einhergehen. Egal, wie viel Leid damit verbunden ist – Gewalt, Vertreibung, Vergewaltigung – wenn man daran verdienen kann, tut man das, bevor einem ein anderer zuvorkommt. Auch wenn das alles womöglich übertrieben wird, um Angst zu schüren und Kaufentscheidungen zu beeinflussen – allein die Tatsache, dass hier offenbar ein lukratives Geschäftsfeld besteht, ist beängstigend. Wenn es Aktien auf Sklaverei gäbe, würden auch die gekauft; und wenn die Rendite außergewöhnlich hoch wäre, wären sie wahrscheinlich der Renner.

Menschen (darunter viele Politiker), die für jedes komplexe Problem eine einfache Lösung haben, lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Die IS-Rebellen bombardiert man eben aus der Luft, auch wenn man weiß, dass das keine effektive Maßnahme sein kann und Opfer in der Zivilbevölkerung vorprogrammiert sind. Den Kurden liefert man Waffen, obwohl die Kurdische Arbeiterpartei in Deutschland wegen extremistischer Aktivitäten verboten ist. Was in der Türkei und im Irak passiert, wenn die Kurden die Oberhand gewinnen sollten, kann man sich denken. Im Ukraine-Konflikt wird Russland mit Sanktionen bestraft und damit ein ganzes Volk quasi in Geiselhaft genommen. Ich muss gestehen: auch meine erste Reaktion auf Gewalt, sei es als Staatsgewalt wie von Russland ausgeübt als auch als terroristische Gewalt von Dschihadisten, ist affektive Gegengewalt. Ganz abgesehen davon, dass ein solches Verhalten zu einer endlosen Gewaltspirale ausarten kann, die niemand wirklich wollen kann, muss man sich doch vor einer automatischen Reaktion Gedanken über Gründe und Ursachen der Gewalt machen. Das heißt nicht, Gewalt zu akzeptieren. Aber bevor zwei sinnlos aufeinander einprügeln und sich gegenseitig ruinieren, scheint es mir sinnvoller und lösungsorientierter, wenn wenigstens einer einen einigermaßen kühlen Kopf behält.

Wenn man versucht, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, wird es kompliziert. Auf eine klar umrissene Ursache lässt sich ein Problem nicht reduzieren. Vielmehr ist dort in vielen Fällen ein Gewirr aus Korruption, Machtmissbrauch, wirtschaftlichen und politischen Interessen und damit verbundene Ausbeutung, Armut und Perspektivelosigkeit vorhanden, das sich ein Ventil sucht. Wer nichts mehr zu verlieren hat, ist für rationale Erwägungen nicht mehr zugänglich. Und meistens sind westliche, kapitalistische Interessen im Spiel. Es geht um Öl wie im Irak und in Nigeria, wo es mit Boko Haram Parallelen zum Islamischen Staat gibt. Oder es geht einfach nur um Macht und Einfluss wie in der Ukraine, wo die EU die ehemalige Regierung vor die Wahl zwischen EU und Russland gestellt hat, was zu einer wirtschaftlichen Katastrophe in der Ukraine geführt hätte (Spiegel 48/2014: "Kalte Krieger"). Möglicherweise war der eigentliche Drahtzieher wieder einmal die USA, die immerhin 5 Milliarden Dollar für Propaganda in die Ukraine gepumpt haben (Dirk Müller: Machtbeben).

Mangelware Information

Ich kann mir nicht wirklich ein Urteil über diese Vorgänge erlauben, weil mir einfach die Informationen fehlen. Aber auch dann wäre ein Urteil sehr gewagt, was sich allein schon in der Tatsache zeigt, dass Menschen, die wesentlich mehr Informationen besitzen als ich, untereinander keineswegs zu den gleichen Schlussfolgerungen kommen. Die persönlichen Umstände und Vorlieben lassen die Grenze zwischen Subjektivität und Objektivität nur allzu leicht verschwimmen. Nun ist auch mir klar, dass man sich der Wahrheit immer nur bestmöglich annähern kann (siehe Glaube und Wahrheit), aber nie zu einer allgemeingültigen, absoluten Wahrheit gelangen kann. Doch auch die bestmögliche Annäherung erfordert zum mindesten und als unbedingte Voraussetzung ehrliche, objektive und vollständige Informationen. Womit wir beim eigentlichen Thema dieser Überlegungen wären. Denn ich habe berechtigte Zweifel, dass man als Normalbürger ehrliche Informationen erhält. Der offizielle Sprachgebrauch hat diese Auffassung bereits verinnerlicht: Wir sind keine Bürger mehr, sondern nur noch Verbraucher, und als solche konsumieren wir neben anderen Dingen auch die Informationen, die uns von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft über die Medien zur Verfügung gestellt werden. Die Medien ihrerseits scheinen nicht besonders kritisch mit diesen Informationen umzugehen – sie reichen sie einfach weiter. Dabei lassen sie die gleich weg, die dem Mainstream widersprechen.

Aktuell (Mitte Januar 2015) scheinen sich die Ereignisse zu überschlagen. Da überfallen radikale Islamisten in Paris die Redaktion von Charlie Hebdo, in Belgien vereitelt die Polizei gerade noch rechtzeitig einen weiteren Anschlag auf das westliche System, in Dresden demonstrieren tausende gegen die Islamisierung der westlichen Gesellschaft (Pegida). Die Wechselkursfreigabe des Schweizer Franken hat damit zwar nicht direkt etwas zu tun, aber auch diese Maßnahme liefert ein beredtes Zeugnis darüber, wie groß das Vertrauen in die europäische Politik ist.

Wohlstand und Freiheit als gesellschaftliches Leitbild

Wenn man nach dem Leitbild der Politik fragt, hört man immer wieder die Schlagworte Wohlstand und Freiheit im Sinne von Erhaltung des einmal erreichten Niveaus. Nun ist ja der Begriff Wohlstand an sich schon höchst relativ. Der bescheidene Wohlstand mit Wohnung oder Haus und einem geregelten Einkommen gibt die notwendige Sicherheit und emotionalen Abstand, um sich um bürgerliche, bzw. gesellschaftliche Angelegenheiten kümmern zu können. Das ist an sich nicht schlecht. Wer heute nicht weiß, von was er morgen leben soll, der hat nämlich näherliegende Probleme. Mit dem Begriff Wohlstand verbindet man aber auch die Villa in einem abgeschirmten Park, mit Luxusschlitten und Chauffeur, Urlaub auf den Malediven (vielleicht ist das ja schon gar kein Luxus mehr), dem opulenten Bankkonto in einem Steuerparadies und so manche andere Ausschweifungen. Gerade teilt die britische Hilfsorganisation Oxfam mit, dass bereits 2016 das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen besitzen wird als die restlichen 99 Prozent zusammen. Bei uns sind die prozentualen Anteile noch etwas verschoben, aber die Tendenz ist nicht zu bestreiten.

Der Begriff der Freiheit ist noch ambivalenter. Der meinte ursprünglich die Befreiung von Zwängen der feudalen Gesellschaft, z.B. das Recht, einen Beruf zu ergreifen, der den eigenen Fähigkeiten und Begabungen entspricht, später dann das Recht, selbst zu denken und kritische Fragen zu stellen, was dann als Meinungsfreiheit, Redefreiheit, usw. institutionalisiert wurde. Der Wohlstand ist eine Folge der Freiheit, die sich die Menschen in den westlichen Gesellschaften mühsam erkämpfen mussten. Das sog. Proletariat konnte erst dann zu bescheidenem Wohlstand gelangen, als es begann, seine Interessen durch die Organisation in Gewerkschaften zu vertreten.

Der Prozess der Befreiung von alten Zwängen ist bei uns abgeschlossen. Mehr noch: Wir sind über das Ziel hinausgeschossen. Beides (Wohlstand und Freiheit) kennt keine Grenzen mehr. Die Freiheit des einzelnen wird nicht mehr durch äußere Normen begrenzt. Jeder kann sich selbst verwirklichen, auch auf Kosten anderer. Das aber ist nur noch instinktgesteuerter Egoismus. Eigentlich wäre es an der Zeit, der eigenen Freiheit durch Selbstverantwortung Grenzen zu setzen. Doch davon sind wir noch weit entfernt.

Es hat nichts mit (Meinungs-) Freiheit zu tun, wenn Andersdenkende beleidigt und verunglimpft werden. Das Niveau von Kabarett-, bzw. Comedysendungen hat oftmals nichts mehr mit Satire zu tun, ähnlich ist es mit den Karikaturen von Charlie Hebdo. Man könnte das einfach als geschmacklos ignorieren, wenn das alles nicht so erfolgreich wäre. Richtig schlimm wird diese Art von Freiheit, wenn unsere Politiker ihre Zurückhaltung aufgeben und Andersdenkende nicht mehr mit Argumenten, sondern mit plumpen Klischees begegnen. Die etablierten bürgerlichen Parteien haben kein gutes Haar an den Linken gelassen, als sie sich anschickten, ein paar Sitze in den Parlamenten zu besetzen. Von allen Seiten war zu hören, dass große Gefahr für die Gesellschaft droht, sollte die Linke etwa die 5-Prozent-Hürde schaffen. Von einer nüchternen Auseinandersetzung mit den Inhalten ihres Parteiprogrammes war kaum etwas zu hören. Als Ende letzten Jahres in Thüringen ein roter Ministerpräsident in Aussicht war, wurde gar der Untergang des thüringischen Abendlandes an die Wand gemalt. Nicht, dass ich ein großer Sympathisant der Linken bin, wenngleich ich glaube, dass sie Probleme ansprechen, die andere gerne ignorieren würden, beispielsweise die zunehmende Konzentration des Kapitals in wenigen Händen. Aber die Linke ist eine demokratische (zugelassene) Partei und als solche hat sie in einer Demokratie die gleichen Rechte wie die anderen. Offenbar gibt es eine ganze Menge Bürger, die sich bei ihr gut aufgehoben fühlen. Wenn die bürgerliche Mitte nichts anderes zu tun hat als sie zu diffamieren, ist das einfach nur arrogant. Und wer die Partei diffamiert, diffamiert auch deren Wähler, also einen Teil der Bürger unseres Landes. Oder AfD und neuerdings Pegida: Da ist ganz weit rechts noch eine Schublade, in die die gut hineinpassen. Justizminister Heiko Maas sieht in Pegida eine Schande für Deutschland, die Demonstranten als Extremisten und Menschenfeinde. Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, hält sie für Mischpoke, SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi für geistige Brandstifter. Für Joachim Gauck, unseren Bundespräsidenten, sind sie Chaoten, für Thomas Oppenmann, Fraktionsvorsitzender der SPD, üble Nationalisten. In der Presse liest man von "Kleinmütigen und Ehrgeizlingen" mit "geringem Selbstwertgefühl" und "Ekelwesen" (Berliner Zeitung). Wie weit rechts Afd und Pegida sind, bzw. wie fundamental kommunistisch die Linke, sei dahingestellt. Es geht mir hier um die Art des Umgangs mit Andersdenkenden. Wo bleibt die Meinungsfreiheit, Rede- und Versammlungsfreiheit, wenn Menschen, die nicht SPD, CDU oder Grüne gewählt haben, verbal diskriminiert und geächtet werden. Ist es bereits so weit, dass die etablierten Politiker auf Bild-Zeitungs-Niveau agieren müssen, weil ihnen die Argumente ausgehen? Da werden primitivste Emotionen geschürt. Sobald in einem Satz lediglich ein falsches Stichwort fällt, fängt die Meute an zu beißen. Für Inhalte scheint sich niemand mehr zu interessieren. Was mich dabei am meisten interessiert: Für wie dumm und blöd halten uns unsere Politiker? Glauben sie im Ernst, dass das "gemeinen Volk" vernünftigen Argumentationen nicht zugänglich ist? Dass es sich von Beleidigungen und Lächerlichkeiten viel eher überzeugen läßt? Also ich für meinen Teil möchte von solchen Menschen nicht regiert werden. Und wenn ich mich in der politischen Landschaft umschaue, dann finde ich schon längere Zeit niemanden, dem ich uneingeschränkt vertrauen würde.

Ich wollte den Bogen in diesen Überlegungen ursprünglich weiter spannen, da es auch auf anderen Gebieten, z.B. bei der Euro-Rettung oder in der Darstellung der Ursachen für die Klimaerwärmung, viele Ungereimtheiten gibt, die einfach tabu sind. Da das Thema Islamisierung zur Zeit die Gemüter besonders erhitzt, steht das auch bei mir im Moment im Vordergrund.

bedroht die Islamisierung die Freiheit?

Ich finde die Ängste und Bedenken gegenüber dem Islam keineswegs so ungerechtfertigt, wie sie unisono von Politik und Medien hingestellt werden. Zur Zeit beträgt der Anteil der moslemischen Wohnbevölkerung in Deutschland etwa 5 Prozent. Da die Geburtenrate in moslemischen Familien wesentlich höher ist als in deutschen, wird dieser Anteil auch ohne neuen Zuzug weiter zunehmen. Die Transferrelation (ALG- und Hartz-IV-Empfänger pro Erwerbstätige) ist bei Muslimen mit 43 Prozent viermal höher als bei Einheimischen und EU-Bürgern. Da 30 Prozent der moslemischen Einwanderer überhaupt keinen Bildungsabschluss haben, wird sich daran vermutlich in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Rund ein Viertel der in Deutschland lebenden Muslime ist nach einer 2010 veröffentlichten Studie zu Gewalttaten gegen Andersgläubige bereit. 24 Prozent der nichteingebürgerten und 15 Prozent der eingebürgerten Muslime im Alter zwischen 14 und 32 Jahren gelten als "streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz" (2012), teilweise zitiert aus Junge Freiheit. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung von 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der repräsentativ befragten Muslime in sechs europäischen Ländern religiöse Vorschriften für wichtiger halten als die Gesetze des Landes.

In Großstädten, wo der Anteil der Muslime bereits heute wesentlich höher als die angesprochenen 5 Prozent ist, ist die Tendenz zu Parallelgesellschaften nicht zu übersehen. Da wird schon auf die Scharia gepocht, die Rolle der Frau ist auf dem Level des europäischen Mittelalters, die deutsche Justiz wird durch Friedensrichter übergangen. Oder sie passt sich einfach an die Scharia an. In Frankfurt z.B. wird ein Scheidungsbegehren wegen Gewalt in der Ehe abgelehnt, da der Koran dem Mann das Recht der körperlichen Züchtigung einräumt. In einer Berliner Grundschule musste ein seit Jahren bestehendes Kopftuchverbot für Schülerinnen der Grundstufe nach einer Beschwerde beim Antidiskriminierungsbüro aufgehoben werden.

Ich erinnere mich an ein vor Jahren geführtes Interview mit einer Grünen-Politikerin (Name habe ich leider vergessen), die im Hinblick auf die Migration meinte, sie finde es ganz spannend, was daraus entsteht. Frei übersetzt würde ich das dahingehend interpretieren, dass hier offenbar keine aktive Vorstellung besteht, was aus unserer Gesellschaft werden soll.

Da ich in der Schule gelernt habe, mich einigermaßen gewählt auszudrücken, auch wenn mir nicht danach zumute ist, besteht mein Kommentar dazu lediglich aus einem Zitat von Heinrich Heine: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht."

Um nicht missverstanden zu werden, weil heutzutage immer mehr Menschen bereits nach Schlagwörtern urteilen und nicht nach dem enthaltenen Sinn eines Textes oder einer Ausführung: Dies ist keine Diffamierung des islamischen Glaubens und ebenso wenig aller deren Anhänger. Es gibt sehr viele Muslime, vielleicht sogar die überwiegende Mehrheit, die gemäßigte Anschauungen verfolgen. Hier ist nur die Rede von den anderen, die offen oder verdeckt versuchen, unser Wertebewusstsein zu relativieren und auszuhebeln. Die sind nun mal eine Realität. Und die sind gemeint, wenn hier von Islamisten gesprochen wird. Ich vermute, dass die bereitwillig sich integrierenden Muslime es mit der Religion ähnlich halten wie die meisten "Christen": Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft ist mehr der Tradition geschuldet als echter und gelebter Überzeugung. Entsprechend leicht sind dann auch die religiösen Regeln relativierbar.

der Koran ist die letzte und endgültige Offenbarung des Gesetzes

Das Hauptproblem ist in meinen Augen die unterschiedliche Weltanschauung. Da gibt es Fixpunkte auf beiden Seiten, die nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Wenn wir uns darüber nicht im Klaren sind, haben wir schon verloren. Ich bin mit Details des islamischen Glaubens nicht vertraut – ich kann mir z.B. kein Urteil darüber erlauben, ob nun die Verbreitung des Glaubens mit Gewalt erlaubt ist oder nicht, wie das ja immer wieder mal diskutiert wird. Trotzdem meine ich, den grundsätzlichen Unterschied durchaus erfassen zu können.

Im Islam gilt das von Mohammed offenbarte und niedergeschriebene Gesetz. Heute wie vor 1400 Jahren. Daran gibt es nichts zu rütteln oder zu verändern. Auch der Staat hat sich diesem Gesetz unter zu ordnen. Die alt- und neutestamentliche Tradition des Juden- und Christentums wird integriert, wobei allerdings Jesus nicht als Messias anerkannt wird, sondern lediglich als einer der alttestamentlichen Propheten. Die endgültig letzte Offenbarung wurde dann dem Propheten Mohammed von dem Erzengel Gabriel mitgeteilt. Heinz Buschkowsky charakterisiert in seinem Buch "Die andere Gesellschaft" die grundsätzliche Lebensauffassung des Islam folgendermaßen: Dem einzelnen Menschen werden keine Rechte zugestanden. Er ist nur ein unfreies Teilchen der Gesellschaft der Gläubigen, der Umma. Die Oberhoheit, da gottgegeben, über das menschliche Leben haben die Glaubens- und Verhaltensregeln des Koran.

das Christentum ist offen für die Zukunft

In der christlichen Tradition gibt es diese expliziten Verhaltensnormen nicht, sondern lediglich ein paar zwischenmenschliche Verhaltensregeln. Und sogar die lassen sich auf zwei Sätze reduzieren, wie das Christus selbst darlegt: Der erste lautet: "Du sollst Gott über alles lieben" Da sagt der Islam auch nichts anderes, soweit also die Übereinstimmung. Der zweite ist dann allerding sozusagen typisch christlich: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Frei nach Christus braucht man nichts anderes zu wissen – kein Gesetz, keine Gebote, keine Regeln. Die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Systems bleibt jedem Zeitalter sich selbst überlassen. Hier herrscht Bewegung – nicht im Sinne von Beliebigkeit in den kulturellen Äußerungen, sondern von Entwicklung. Das Kennzeichen unserer Gesellschaft ist eben nicht die Unterordnung unter ein feststehendes Gesetz, sondern gerade die Emanzipation von den religiös-kirchlichen Traditionen. Die wurde in Jahrhunderten bitter erkämpft. Es wäre ein Fehler, wenn wir diese Errungenschaften leichtfertig in Frage stellten, anstatt sie zu verteidigen.

Freiheit ist dekadent

Allerdings müssen wir auch einsehen, dass dieser Prozess der Entwicklung zu einem freien Menschen noch lange nicht abgeschlossen ist. Wir sind geblendet von dem Wegfall der alten Regeln und Normen und glauben, wir könnten uns nun ungehemmt entfalten, ohne Rücksicht auf die Kollateralschäden, die unseren Weg allenthalben säumen. Ich rede hier nicht von dem einzelnen, der sich in seiner Nachbarschaft, seiner Gemeinde oder sonstwie in der Gesellschaft engagiert und dem es keineswegs egal ist, was um ihn herum passiert. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass genau dieser einzelne, wenn er als Teil eines Unternehmens oder eines Staates handelt, jegliche Rücksicht auf andere verliert. Da geht es dann nur noch um Geld und Gewinn, um Macht und Einfluss. Moral und Verantwortung sind gut für den einzelnen Menschen, nicht aber für Unternehmen und die Staaten, die sich der Wirtschaftsmacht in vorauseilendem Gehorsam unterordnen. Sie sind nicht einmal existent, solange sie nicht explizit durch Gesetze verbindlich werden (s. Wahrheit und Glaube).

Es lässt sich darüber streiten, ob die Welterwärmung nur auf die fossilen Brennstoffen zurückzuführen ist – es gibt da immer noch viele Ungereimtheiten (Vahrenholt/Lüning: Die kalte Sonne). Was mich am meisten schockiert, ist die Arroganz, mit der die Industriestaaten ihre Position gegenüber den Entwicklungsländern, die die Hauptleidtragenden sein werden, behaupten.

Als die Banken die gesamte Weltwirtschaft 2008 in den Ruin zu stürzen drohten, wurden nicht etwa die Verursacher bestraft, sondern die Opfer. Bis jetzt ist alles noch irgendwie in der Schwebe; jeder hofft, dass alles nicht noch dicker kommt. Wenn der Ernstfall eintritt und noch mehr Milliarden aufgebracht werden müssen, werden die, die wenig zum Leben haben, am meisten betroffen sein. Bereits 2011 waren in Spanien 2,2 Millionen Kleinkinder schwerst, permanent unterernährt, weil auf Druck der EU die Sozialleistungen für extrem arme Familien gekürzt wurden (Ziegler: Wir lassen sie verhungern, 2011). Das Buch von Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und Mitglied des UN-Menschenrechtsrates, gibt im übrigen einen schockierenden Einblick in Folgen von ungezügelter Freiheit in Verbindung mit einem Wertebewusstsein ohne ein ethisches Regulativ. Er beschreibt, wie Staaten, v.a. in Afrika, denen es noch vergleichsweise gut ging, unter dem Vorwand der Segnungen des Freihandels, propagiert und durchgesetzt von WTO und IWF, ruiniert wurden. Während vor dem Eingriff des IWF die Landwirtschaft, wenn auch auf einem Niveau, das unserem in keiner Weise gleicht, noch funktionierte, überschwemmten danach billige Importe das Land. Die Folge: Die ansässigen Bauern konnten ihre Produkte nicht mehr absetzen und verarmten. Entweder verhungerten sie auf dem Land oder sie wanderten ab in die Slums der Städte und verhungerten dort.

Das WFP (UN-Welternährungsprogramm) hatte in den ärmsten Ländern Schulspeisungsprogramme aufgebaut. Man wollte sich mit diesem Programm um unterernährte Kinder kümmern, da Unterernährung bei Kindern unter 9 Jahren zu irreparablem Gesundheits- und Entwicklungsschäden führt. Für viele dieser Kinder war die Schulspeisung die einzige richtige Mahlzeit am Tag. Die Kosten pro Kind betragen 50 Dollar im Jahr. Vor 2009 kamen im Durchschnitt 22 Millionen Kinder in 70 Ländern in den Genuss dieser Mahlzeiten, die insgesamt einen Wert von 460 Millionen Dollar pro Jahr repräsentierten. Seit der Krise 2008 gingen die Hilfsgelder so stark zurück, dass die Schulspeisungen weitgehend eingestellt werden mussten.

Mitte Juli 2011 gaben die UN bekannt, dass am Horn von Afrika 12,4 Millionen Menschen vom Hunger bedroht sind. Das WFP (UN-Welternährungsprogramm,) verlangte 1,6 Milliarden Euro für Hilfsmaßnahmen. Davon hat es weniger als ein Drittel erhalten. Heute lese ich von einer Konferenz, auf der die globale Impfallianz Gavi um Unterstützung warb und 7,54 Milliarden US-Dollar (6,7 Mrd Euro) einnahm. Allein von Deutschland kamen 600 Millionen Euro. Mit dem Geld sollen in den nächsten Jahren 300 Millionen Kinder gegen Keuchhusten, Masern und Lungenentzündung geimpft werden. Wie es scheint, geht man jetzt dazu über, Kinder zu impfen, bevor man sie verhungern lässt. Übrigens sind die Kosten für ein Impfpaket für Kinder in den letzten 15 Jahren von 69 Cent auf 45 Dollar gestiegen. Impfen bringt also auch höhere Gewinne als Lebensmittellieferungen.

Auf der Erde leben heute 7 Milliarden Menschen. Die weltweite Nahrungsmittelproduktion würde für 12 Milliarden reichen (Ziegler). Trotzdem ist der Anteil der unterernährten Menschen (ein schönerer und emotionsloserer Ausdruck als "an Hunger krepierend") von 2006 bis 2009 stark angestiegen. Der Hauptgrund ist der Verlust landwirtschaftlicher Nutzflächen für die Nahrungsproduktion, weil darauf jetzt Energiepflanzen angebaut werden. Zuckerrohr und Mais für Bio-Ethanol, Ölpalmen für Palmöl, Raps für Diesel, Getreide für Biogas. In Deutschland sind bereits 18 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche für nachwachsende Rohstoffe genutzt. 85 % davon werden zu Biodiesel, Biogas und Bioethanol verarbeitet (Studie des Biogasrates 2011, www.agrarheute.com). Schon ein Jahr später war die Fläche nach einer Schätzung der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe auf über 20 % angewachsen. Ich vermute: Tendenz steigend.

Wenn man in Wikipedia zur Flächenkonkurrenz von Energiepflanzen recherchiert, relativiert sich dieses Problem zu marginalen Problemchen. Da gibt es ja auch noch die Spekulation mit Nahrungsmitteln und v.a. die Tatsache, dass weltweit etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Das allein ist schon ein Armutszeugnis für den Westen, weil diese Menge etwa der Hälfte aller Lebensmittel entspricht und genug wäre, um 3 Milliarden Menschen zu ernähren. Auch wenn also die Flächenkonkurrenz von Energiepflanzen global gesehen vielleicht nicht so dramatisch ist, ist es unbestreitbar, dass wir zuerst einen kompletten Wirtschaftszweig für Energiepflanzen aufbauen und dann erst überlegen, ob das wirklich so gut war. Wenn dieser Wirtschaftszweig erst einmal in das ganze System integriert ist, lässt er sich keineswegs wieder so leicht abbauen.

Vielleicht ist ja auch Wikipedia nicht auf dem neusten Stand. 2011 wurde bereits 38 % der Maisernte in den USA zu Bioethanol verarbeitet. Für 50 l Bioethanol, also etwa einer Tankfüllung, werden 358 kg Mais benötigt. Von 358 kg Mais kann z.B. ein Kind in Mexiko ein Jahr lang leben. In Brasilien wurden 2009 18 Milliarden Liter Bioethanol v.a. aus Zuckerrohr erzeugt. Die Anbaufläche soll auf 26 Millionen Hektar ausgedehnt werden. Die ursprünglich dort angesiedelten Bauern wurden von ihrem Land vertrieben oder dürfen als schlecht bezahle Lohnarbeiter ohne irgendwelche Rechte, quasi als moderne Sklaven, ihr Dasein für die neuen Plantagen fristen. Da die Plantagen bis in die Weidegebiete der Viehzüchter ausgedehnt werden, steigt auf der anderen Seite der Druck auf die noch verbliebenen Regenwälder des Amazonasgebietes. Dort werden durch Brandrodung neue Weideflächen "erschlossen" (Ziegler).

Worüber nicht gerne geredet wird, ist die immense Menge an Wasser, die für die Herstellung von Agrotreibstoffen benötigt wird. Pro Liter Bioethanol werden 4000 l Wasser verbraucht. Kein Gedanke an die Knappheit der Ressource Wasser, die heute schon allenthalben zu spüren ist. Dazu kommt, dass durch die Klimaerwärmung die Wüsten starke Ausbreitungstendenzen zeigen. Es wird geschätzt, dass 44 % des Ackerbodens von der zunehmenden Trockenheit betroffen sind.

Als nach 2008 eine Flaute in den "normalen" Bank- und Investmentgeschäften anbrach, haben sich Spekulanten und Konzerne auf das "Land-Grabbing" in Afrika, Asien und Südamerika verlegt. Dort gibt es weite Gebiete mit fruchtbarem Boden, der von den dort ansässigen Bauern bewirtschaftet wird. Da die Verwaltung in diesen Ländern lang nicht so durchorganisiert ist wie bei uns, sind die Besitzrechte der Bauern nicht gesichert. Das Land gehört im Prinzip dem Staat, die Bauern haben lediglich ein Nutzungsrecht. Mit den notwendigen Beziehungen, einigen Geschenken hier und da, gelingt es Spekulanten oder Konzernen, riesige Flächen für ein Butterbrot zu kaufen. Die angestammten Bauern werden von ihrem Land vertrieben und verelenden. Egal, was dann auf diesen Flächen angebaut wird, Getreide oder Energiepflanzen, die erzeugten Produkte dienen nicht mehr der heimischen Bevölkerung, sondern dem Weltmarkt. Oder sie werden einfach brach liegen gelassen, um sie bei weiterer Verknappung und damit steigenden Preisen mit gutem Gewinn weiter zu verkaufen. Gut im Geschäft sind u.a. auch saudische Staatsfonds. Land-Grabbing hat der Prophet wohl übersehen.

Es ist heute so, dass globale Unternehmen frei von irgendwelchen Kontrollen operieren, bzw. die Kontrollen durch Geld, Bestechung und sog. Lobbyarbeit aushebeln oder zu ihren Gunsten die Gesetzgebungsverfahren anpassen. Mit TTIP, CETA und TISA versuchen Konzerne, Umwelt-, Gesundheits- oder Sozialstandarts zu umgehen. So könnte Monsanto Gen-Pflanzen ungehindert importieren, obwohl die Mehrheit unserer Bevölkerung das definitiv nicht will, die öffentliche Daseinsvorsorge mit Bildung, Gesundheit oder der Wasserversorgung könnte Stück für Stück in die Hände der Privatwirtschaft übergehen (www.campact.de oder www.lobbycontrolde) – es ist nicht schwer, sich weitere Szenarien auszumalen. Im Rahmen der TTIP-Verhandlungen ist jetzt bekannt geworden, dass auch über "regulatorische Kooperation" verhandelt wird. Damit würde Unternehmen ein weitgehendes und frühzeitiges Mitspracherecht bei neuen Gesetzen eingeräumt, und zwar noch vor den Parlamenten. Die demokratischen Verfahren werden Stück für Stück ausgehöhlt.

Gerade höre ich davon, dass die Firma Gilead ein Medikament für Hepatitis C, Sovaldi, das in der Herstellung ca. 100 € kostet, zu einem Preis von 60.000 € abrechnet. Auch der Werdegang dieses Medikamentes ist interessant: Entwickelt wurde der Sovaldi-Wirkstoff Sofosbuvir von der Firma Pharmasset. Gilead kaufte diese Firma auf und steckte danach 11 Milliarden Dollar in die Patentrechte und die Ausschaltung der Mitbieter (TAZ 18.8.2014). Es geht hier nicht darum, das Gewinnstreben zu verteufeln – nur wer Gewinn macht, kann sein Unternehmen erhalten, seine Mitarbeiter ernähren, in neue Verfahren und Technologien investieren. Fragwürdig ist aber, ob der Gewinn keine Grenzen zu kennen braucht. Experten vom WFP (Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen) formulieren das folgendermaßen: "Wir wollen, dass der Welthandel ein Gewissen bekommt (Ziegler)."

Freiheit fordert Verantwortung

Man könnte endlos weitermachen mit dieser offenkundigen Diskrepanz zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Freiheit, den Einzelnen auszunutzen und auszubeuten. Für denjenigen, der die Schattenseiten davon zu tragen hat, muss es so aussehen, als ob das - christliche – Abendland die Ursache von Repression, Gewalt und Ausnutzung ist. Für Menschen, die sich einem göttlichen Gesetz wie dem Koran verpflichtet sehen, ist das gesetzloses Handeln. Abhilfe kann demnach nur eine Stärkung des Gesetzes schaffen. Es ist allgemein leichter, sich an vorgegebene Gesetze zu halten, zumal wenn sie als göttliche Offenbarung nicht diskutierbar sind, als sich selbst welche zu geben, die aus der Einsicht in zwischenmenschliche Notwendigkeiten herrühren. Das gilt im staatlichen, im wirtschaftlichen wie im sozialen Bereich. Es kann nicht sein, dass Freiheit auch Freiheit von jeglicher Moral und Ethik bedeutet (s. Glaube und Wahrheit). Wenn wir als Gesellschaft immer erst im Nachhinein die Schäden beseitigen müssen, die rücksichtslose Politiker und Geschäftemacher verursacht haben, dann stimmt mit unserem gesellschaftlichen Wertesystem etwas nicht.

Wenn das alles Freiheit ist, kann ich den Hass der Islamisten auf den Westen verstehen.

Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass Wohlstand und Freiheit bei uns mit Leid und Elend woanders verbunden ist. Nicht der Einzelne, aber die Gesellschaft als Ganzes, die hemmungslose Gewinnsucht nicht verurteilt, ja sie sogar als normales und legitimes Geschäftsgebaren ansieht, trägt die Verantwortung für all das, was in ihrem Namen geschieht.

Ohnmacht erzeugt Gewalt

Insofern ist der Vormarsch der Islamisten eine weltweite (soziale) Krankheit, die der Westen selbst verursacht hat. Der Begriff "Krankheit" wird einem eher materialistisch Gesinnten hier fehl am Platze sein. Es reicht aus, wenn man einen Zusammenhang in Erwägung zieht zwischen Ausbeutung und Unterdrückung und der Gewalt derer, die jegliche Zukunftsperspektive verloren haben. Das bedeutet nicht, dass wir jeden Islamisten als Opfer unseres Egoismus ansehen und ihn mit Samthandschuhen behandeln. Der einzelne Mensch, der Hass und Gewalt zu uns bringt, ist etwas anderes als der ideelle Konflikt zwischen exzessivem Egoismus der Täter und der Ohnmacht der Opfer, die keinen Ausweg mehr sehen und dadurch selbst zu Tätern werden.

Bei manchen Entwicklungen springt der Zusammenhang geradezu ins Auge. Jean Ziegler (das Buch sollte ebenso wie das von Heinz Buschkowsky Pflichtlektüre für jeden mündigen Bürger werden) berichtet neben all den Exzessen der Staats- und Wirtschaftsmacht, die einem sowieso schon den Magen umdrehen, von den Sanktionen und dem damit zusammenhängenden Programm Oil for Food (Öl für Nahrungsmittel), die dem Irak von der UN auf Initiative der USA nach dem ersten Golfkrieg 1991 aufgezwungen wurden. Nach der Befreiung Kuweits hatte man sich nicht getraut, Saddam Hussein zu stürzen, weil man fürchtete, damit die Schiiten an die Macht zu bringen, denen man Verbindungen zu den iranischen erzkonservativen Mullahs nachsagte. Weil die Zivilbevölkerung unter den Sanktionen schwer zu leiden hatte, führte man Mitte der 90er Jahre das Programm "Oil for Food" ein. Damit wurde eine begrenzte Menge Öl für den Export freigegeben, mit dessen Erlös Lebensmittel, Medikamente und andere zivile Aufbauhilfe bezahlt werden konnten. Mit der Ausgestaltung des Programmes Oil for Food wollte die Regierung Clinton in der irakischen Bevölkerung einen solchen Leidensdruck erzeugen, dass sie sich gegen Saddam Hussein auflehnt. Ein Sanktionsausschuss bekam die Entscheidungshoheit darüber, was im Austausch gegen exportiertes Öl importiert werden durfte. Unter fadenscheinigen Argumenten wurde die Einfuhr von Medikamenten und chirurgischen Instrumenten und Sterilisationsmaterial verhindert. Desgleichen galt für Infusionsbeutel mit Nährlösungen für schwer unterernährte Säuglinge und Kleinkinder. Die im Krieg zerstörten Trinkwasseraufbereitungsanlagen konnten nicht wieder aufgebaut werden, da Baumaterialien und Ersatzteile unter das Embargo fielen. Tausende von Tonnen Reis, Obst und Gemüse wurden an der Grenze aufgehalten, weil aus New York keine Genehmigung für die Einfuhr vorlag. Da der Irak über 70 % seiner Lebensmittel importiert, führte das zu einer humanitären Katastrophe. In elf Jahren hat das Embargo mehrere Hunderttausende Kinder umgebracht. Der Präsident der UN-Menschenrechtskommission bezeichnete das Vorgehen als Völkermord. Ich habe immer geglaubt, der Islamische Staat habe seine Ursachen im Machtgeflecht um die Ölförderung im Irak. Doch diese Vorkommnisse scheinen mir noch naheliegender und direkter.

Als ich diesen Abschnitt las, war ich gerade beim Abendessen und trank einen großen Schluck Lambrusco aus meinem Weißbierglas (ich trinke immer aus einem Weißbierglas) – so dekadent kann Freiheit sein!

Soviel zu den Segnungen des christlichen Abendlandes. Es mag sein, dass wir in Europa in Bezug auf Machtansprüche und deren Durchsetzung noch nicht so weit sind. Ich erinnere mich aber noch gut, als unsere damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder sich weigerte, mit George W. Busch in den zweiten Golfkrieg zu ziehen, hatte Angela Merkel nichts besseres zu tun als unmittelbar darauf in die USA zu reisen, um George W. Bush einen Besuch abzustatten. Mir fällt nicht mehr ein, wie man das mit einem Fachausdruck nennt. Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, jemandem irgendwohin zu kriechen. Die Vasallenrolle gegenüber den USA hat sie auch als Bundeskanzlerin, wie ich meine, nicht abgelegt. Aber das nur am Rande. Die Probleme in unserem Land verschwinden dadurch nicht von selbst.

In Bezug auf die Islamisierung müssen wir uns wehren, soviel ist klar. Niemand wird eine Krankheit hinnehmen ohne zumindest den Versuch zu machen, sie zu heilen. In diesem Punkt stimme ich z.B. den Pegida-Anhängern zu. Nebenbei bemerkt sind lt. einer Studie der TU Dresden die wenigsten Pegida-Demonstranten ausländerfeindlich. Die meisten demonstrieren, weil sie mit dem Staat, der politischen Klasse und den Medien unzufrieden sind. Die Augen verschließen und hoffen, dass sich die Probleme von selbst auflösen, ist bestimmt der falsche Weg. Die Einwanderer vorwiegend oder gar ausschließlich als willkommene Arbeitskräfte zu sehen, damit der heimische Arbeitskräftemangel aufgefangen werden kann, wie die Wirtschaftsverbände das tun, halte ich ebenfalls für falsch. Da wird der Wert eines Menschen auf seine Arbeitskraft reduziert.

Wir müssen auf solche Einwanderer reagieren, die zwar die Wohltaten des Sozialstaates genießen, aber selbst nichts dafür tun wollen, ja die sogar einen regelrechten Hass auf das freiheitliche westliche System entwickeln. Oder, wie es ein türkischer, gut integrierter Einwanderer der dritten Generation formuliert: "…das Land ist zu schlapp. Ein Sozialsystem ist zwar gut, aber es soll Schwache auffangen und stützen. Nicht Starke durch Bequemlichkeit zu Schwachen machen."

Offensive statt Verteidigung

Aber das ist nur der Anfang, sozusagen die Bekämpfung der Symptome, aber nicht der Ursachen. So wie es aussieht, müssen wir unseren Politikern zwar auf die Füsse treten, damit sie sich bewegen; aber diesen Teil des Problems kann man getrost den staatlichen Organen überlassen. Der andere Teil geht allerdings jeden selbst etwas an. Auf lange Sicht braucht unsere Gesellschaft ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt und das die einzelnen Mitglieder vereint. Etwas, was eine Kultur ausmacht. Ein positives, aktives Ideal, nicht so etwas passives wie die Erhaltung des Wohlstandes und der Freiheit. Was wir brauchen ist wesentlich mehr als der Begriff der Leitkultur, den die rechte Mitte eine Zeit lang gerne propagiert hat, der aber nicht mehr als ein zaghafter Anfang sein kann. Vor mehr hätten diese Menschen wohl selbst Angst, weil die konsequente Durchsetzung an die eigene Substanz, sprich Macht, Einfluss und die vielen kleinen und großen Vergünstigungen und Zuwendungen, ginge.

Lt. Wikipedia bezeichnet Kultur im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Das Wort "Kultur" ist in der deutschen Sprache seit Ende des 17. Jahrhunderts belegt und bezeichnet hier von Anfang an sowohl die Bodenbewirtschaftung als auch die "Pflege der geistigen Güter". Als Gärtner kenne ich mich mit dem Begriff "Pflege" einigermaßen gut aus. Im gärtnerischen Bereich bedeutet Pflege nicht bloß die Erhaltung eines fertigen Zustandes, sondern darüber hinaus auch die Weiterentwicklung. Das ist im Garten gar nicht schwer zu verstehen, da Pflanzen, um die es ja in den meisten Gärten immer noch geht, mit der Zeit wachsen. Das geht dort tatsächlich so weit, dass andere Pflanzen, die langsamer wachsen oder generell schwächer sind, mit der Zeit absterben. Wenn einem etwas an diesen schwächeren Pflanzen liegt, muss man sich besonders um sie kümmern. Die starken müssen eher am Wachsen gehindert werden, was man bei Gehölzen z.B. durch einen regelmäßigen Schnitt erreicht; die schwachen dagegen brauchen ein erhöhtes Maß an Zuwendung. Und dann ist da auch noch das leidige Unkraut, das dem Ideal des Gärtners nichts abgewinnen kann und immer darauf hinarbeitet, der alten Wildnis wieder zu ihrem Recht zu verhelfen (s. auch die Überlegungen zu Unkraut). Neben all diesen beinahe täglichen Anforderungen muss man immer auch die Entwicklungstendenz im Auge behalten. Wer schon einmal einen kleinen Baum aus der Gärtnerei im Kofferraum seines Wagens mit nach Hause genommen und dort eingepflanzt hat, weiß wovon ich rede. Eh man sich versieht, ist der Baum tatsächlich ein solcher. Wo früher den ganzen Tag die Sonne geschienen hat, ist dann nur noch Schatten. Wenn man dem Gartenbesitzer, der diesen Baum gepflanzt hat, unterstellt, dass er wusste, was er tat, dann war ihm das klar. Dann war ihm auch klar, dass die ursprünglichen, Sonne und Licht liebenden Pflanzen, die dort prächtig gediehen, irgendwann ihr Leben aushauchen würden. Dass andere an ihrer Stelle gepflanzt werden müssen.

Das und manches andere in der Natur ist der Grund, warum Pflege nicht einfach nur Verteidigung bedeutet. Wer lediglich einen einmal erreichten, als optimal empfundenen Zustand verteidigt, ist zum Scheitern verurteilt (Naturerkenntnis-Selbsterkenntnis). Mit der Kultur ist es ähnlich. Mit Blick auf die europäische Kultur sagt Ortega y Gasset: "Kultur ist keine Herberge, sondern ein Weg." Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, wird faul und träge und ist in der Folge leicht zu besiegen. Oder er wird herrisch und arrogant, wie es Tolstoi in einer Geschichte über einen armen Bauern beschreibt, der bereit war, das wenige, was er hatte, zu teilen. Erst als er zu Reichtum gekommen war, erschien ihm bereits die Bitte um ein kleines Almosen als Angriff auf seine (nunmehr erhabene) Person. Und seine Menschlichkeit sank auf das Niveau eines Tieres, genauer gesagt eines Schweines, das sich im Dreck suhlt.

Ich habe mich auf diesen Seiten schon öfter zu diesem Themenkreis geäußert. Wer das eine oder andere davon gelesen hat, weiß, dass ich die Lage nicht ausschließlich pessimistisch sehe. Ich glaube an die Mission des Abendlandes, die Freiheit zu verwirklichen. Aber so, wie sie sich in unserem Zeitalter gebärdet, ist sie eher ein Fluch als ein Segen für die Menschheit. Die Entwicklung ist aus dem Ruder gelaufen und braucht dringend eine Korrektur. So wie die Konstellation zwischen Politik und Wirtschaft sich derzeit darbietet, ist von dort keine Besserung in Sicht. Das einzige, was uns helfen kann, ist ein Bewusstseinswandel von unten. Wenn viele davon überzeugt sind, dass es so nicht mehr weitergeht, und das auch in irgendeiner Form artikulieren, dann wird sich auch etwas ändern.

Albert Schweitzer hat einmal über die nutzlosen Guten gepredigt (siehe Gartenmeditationen/Ethisches+). Er meint damit alle die, die in unserer Gesellschaft wenig oder gar keinen Einfluss haben und die ihre Untätigkeit, bzw. ihr fehlendes Engagement mit dem Hinweis rechtfertigen: "Was können wir denn schon erreichen? Die da oben tun doch sowieso, was sie wollen." Da ist allerdings nur so lange etwas wahres dran, wie die überwiegende Mehrheit daran glaubt. Sobald alle diejenigen, die eigentlich nichts erreichen können, gemeinsam für etwas kämpfen, bilden sie eine Macht, die niemand ignorieren kann. Das war 1989 in Leipzig so, als die Bürger mit der Parole "Wir sind das Volk" letzten Endes ihre Regierung in die Knie zwangen. Und das kann auch heute jederzeit wieder passieren, vorausgesetzt, es sind sich genügend Menschen untereinander über ihre Ziele einig.

Was könnte an Wohlstand und Freiheit weiterentwickelt werden? Als ein Ziel, dem sich die Mehrheit der Bevölkerung anschließen könnte. Oder anders ausgedrückt: womit kann sich die Freiheit rechtfertigen? Das geht in meinen Augen nur dann, wenn sich die Freiheit selbst Grenzen setzt. Wenn sich jeder selbst bei allen seinen Entscheidungen fragt, wann seine Freiheit zu Lasten eines anderen geht und er im Zweifelsfall lieber auf etwas verzichtet, als sich durchzusetzen. Wenn sich Freiheit mit Menschlichkeit, mit Hilfsbereitschaft, statt mit Ellenbogenmentalität verbindet. Das klingt utopisch, aber jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Auch wenn es ein weiter Weg wird, muss er nicht aussichtslos erscheinen. Wichtig wäre, erst einmal die Notwendigkeit dessen einzusehen.

Man kann noch weitergehen: das christliche Abendland hat ja genau genommen mit Christentum nichts mehr zu tun. Bei vielen ist zwar noch ein diffuser Glaube an irgendeine allgemeine göttliche Macht vorhanden, aber wenn es um den Kern der christlichen Religion geht, die Auferstehung, wird man bei den wenigsten wirkliches Verständnis finden. Das gilt meines Erachtens auch für die meisten Kirchenvertreter, die alle die gleichen Formeln verwenden und gerade deshalb ihr mangelndes Verständnis preisgeben. Oder böswillig formuliert: sie plappern unisono das nach, was ihre Vorgänger vor Jahrhunderten noch wirklich geglaubt haben. Die anderen haben auch diesen diffusen Glauben konsequenterweise abgelegt und sind bereits bekennende Atheisten. Nun hat allerdings der Atheismus ein großes Problem: Es gibt keine absoluten Werte, die von niemandem in frage gestellt werden. Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Altruismus und dgl. sind hier nicht von vornherein vorhanden, umso mehr, als der moderne Atheismus eng mit dem darwinistischen Evolutionsmodell gekoppelt ist: Auch wenn sich alles Bestehende im Laufe der Zeit irgendwie bewährt hat, ist die Ursache von allem doch auf eine Reihe von Zufällen gegründet. Die Seele ist lediglich eine Illusion, die das Gehirn erzeugt. Der Gehirntod ist auch das Ende der Seele. Das Leben spielt sich nur im Diesseits ab. Ein Opfer, das der Atheist für die Gesellschaft bringt, bringt nur der Gesellschaft etwas, ihm selbst höstens ein gutes Gefühl im Diesseits.

Ganz anders ist das bei den gläubigen Muslimen. Ihr Leben dehnt sich aus in die Ewigkeit. Was sie hier und jetzt tun, hat Auswirkungen auf ihr jenseitiges Leben. Ein Opfer verheißt ihnen einen sicheren Platz im Paradies. Sie haben nicht wirklich etwas zu verlieren. Im Gegenteil: Sie können nur gewinnen. Auf lange Sicht ist also der religiöse Mensch dem Atheisten im Vorteil, weil er einfach mehr Zeit hat. Der Atheist muss sich sein Diesseits so komfortabel wie möglich einrichten. Er konzentriert sich deshalb mit seiner ganzen Kraft auf technische Errungenschaften, auf ein angenehmes, leichtes und unbeschwertes Leben. Darauf ist er allerdings dermaßen fixiert, dass er über Leichen geht. Und damit erzeugt er sich selbst seinen Gegenspieler.

Wenn sich das christliche Abendland weiterhin nur auf äußere Machtentfaltung, Wohlstand und vermeintliche Freiheit fixiert und kein neues, ideelles Ziel entwickelt, wird der Islam unmerklich in unser System einsickern und weiter an Macht gewinnen. Dann ist erst mal für lange Zeit aus und vorbei mit dem Experiment Freiheit.

Ende Januar 2015

 

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